Großstadtlärm zwischen Wüste und Nationalpark
El Asma – Sendemast – Nouakchott – Tiguent – Bouhadjra
Blob. Blob. Heuschrecken springen an unser Zelt. Ein Zirpen aus den Büschen, hinten das Brummen der Bundesstraße. Blob zirp bruuuum bruuuum tagtagtagtag. Knack. Das ist die Colaflasche, mein Kissen. Blablabla. Das ist Sarah, beim Telefonieren. Wir sind froh, endlich bettfertig im Zelt zu liegen. Denn unpraktischerweise haben wir uns heute mitten in unscheinbare Gräser gelegt, die sich als Dornen-Disteln herausstellten. Aus dem Boden, durch die Plane, durch das Zelt und Sarahs Isomatte bis in ihren Po hinein hatte sich eine Dorne gegraben. Darauf folgte eine größer angelegte Jät-Aktion unter dem Zelt, bei der Selmas Flasche auslief und einen Bohnen-Sand-Wassermatsch in Zeltmitte bildete.

Matschig fühlten auch wir uns unter dieser Woche bei unserem bisherig längsten Aufenthalt seit dem 1. September. Wir blieben vier Nächte in Nouakchott, und zwar bei einem Couchsurfing – Gastgeber. In sein Haus einzutreten war unser persönlicher GNTM-Moment. Reiche Zimmereinrichtung, ein Balkon, mindestens drei Badezimmer, zwei Fernseher, deren Fläche die unseres Zeltbodens übertrifft und Auswahlmöglichkeiten bei unserem privaten Schlafzimmer. Wir hatten das starke Bedürfnis, schreiend und hysterisch lachend durch alle Räume zu rennen. Versuchten, uns zurück zu halten, um nicht wie Bauern zu wirken. Bis wir merkten, dass der Kühlschrank zweiflügelig war und wir uns unbegrenzt bedienen durften. Papis, unser Gastgeber, holte uns morgens eine riesige Box gefüllt mit Teilchen vom Bäcker, mittags Reis mit Gemüse von seiner Haushälterin, zwischendurch sollten wir uns von einer Karte Essen bestellen. Die Situation überforderte uns. Wir sind von unserem Wildcampstyle all diesen Luxus nicht gewohnt und wissen nicht, wie wir auf all die Geschenke reagieren sollen.

Als wir heute Morgen sein Haus verlassen, um unsere letzten Kilometer in diesem Land anzutreten, sagt uns eine Frau, dass sie nicht weiß, wie sie ihre Kinder ernähren soll und dass sie viele Schulden hat und fragt uns nach Geld. Zuvor schenkte Papis uns 1000 MRU (circa 22 €), da unsere Bankkarte nicht funktionierte. Unsere schwächlichen Versuche, ihm das Geld zu überweisen oder in Euro zu geben, wies er ab. Wir schauten den Geldscheinbündel an und fragten uns, was tun wir damit.

Wir schauten in die bittenden Augen der Frau und entschieden uns, ihr 200 MRU zu geben. Davor hatten wir uns gut mit ihr unterhalten, während sie uns eines unserer Lieblingsstreetfoods hier schmierte: Baguette mit Bohnen, Kartoffeln und scharfer Soße. Wir gehen weiter und sehen Menschen, die im Müll nach Verwertbarem suchen. Wir wollen nicht die Weißen mit Geld sein. Wenn wir allen Menschen Geld gäben, die es mehr brauchen als wir, wären wir schnell arm und ohne Reisemittel.
Wir fragen uns, ob die Verkäuferin nur mit uns geredet hat, um uns nachher nach Geld zu fragen. Was ja auch vollkommen verständlich wäre. Wir haben halt keine Lust auf das Gefälle und dass man uns unseren Reichtum ansehen kann. Aber diese Tatsachen wegzuignorieren führt auch nirgends hin. Wir möchten nicht, das Geld eine große Rolle während unserer Reise oder generell in unserem Leben einnimmt. Das Privileg, sich das aussuchen zu können, muss man erstmal haben.

Ich möchte weiterschreiben, doch mein juckender Körper lenkt mich ab. Campen am See im Nationalpark nahe der senegalesischen Grenze. Die Insekten sind wild und es raschelt überall. Auf einem Warnschild haben wir gelesen, dass es hier auch Krokodile gibt. Doch auf unserer Wildcamp-App und in persönlichen Gesprächen hat uns niemand davor gewarnt. Deswegen hoffen wir, dass alles ungefährlich ist. Leider auch kein Internet, um zu googeln. Wir staunen, uns nun in so sumpfigem Gebiet zu befinden. Gestern waren wir noch in der Sahara, heute Morgen dann in einer Art Dornstrauchsavanne und jetzt dieses Matschgebiet mit all den Tieren. Wir freuen uns, so lebendige Natur zu erleben.

Ich möchte weiterschreiben, doch Stimmen von draußen sagen uns, dass wir hier nicht zelten dürfen. „Wir sind die Parkwacht.“ Sie warteten geduldig, bis wir unsere Isomatten einrollten, das Zelt abbauten und unsere Sachen packten. Dann wurden unsere Fahrräder auf ihren Pickup und wir auf die Rückbank geladen, es folgten 10 gratis-km im Auto. 10 km weniger sandiger Untergrund morgen früh zur Grenze. Zuerst waren wir ziemlich genervt, doch jetzt, wo wir in einem ihrer Bungalows auf Matratzen pennen und unser Zelt nicht aufbauen müssen, sind wir recht happy. Die Parkangestellten essen noch Couscous und schauen Fußball, dann haben wir unsere Ruhe. Real Madrid, leider nicht Barcelona, was zu Sarahs Neukauf gepasst hätte. Ein Langarmtrikot mit Nummer 8 von Barca. Autofahrer steigen glücklich aus ihren Karren und zeigen uns ihr Fußballshirt. Kleine Kinder rufen strahlend „Barca, Barca!“ Selma dachte zuerst, es handele sich um ein Bayerntrikot.

Direkt morgen werden wir die senegalesische Grenze überqueren. Generell werden sich die Grenzübergänge verdichten. Je nachdem, welcher Route wir folgen, wollen wir noch 10 neue Länder betreten, weswegen wir nur noch selten viel Zeit in einem Land verbringen werden können. Schon in Mauretanien merkten wir, dass wir die Kultur schlechter kennenlernten, mit dem Geld und den Preisen auch gegen Ende nicht so gut umgehen konnten und keine Worte in dem hiesigen arabischen Dialekt lernten. In Marokko verbrachten wir deutlich mehr Zeit und fühlten uns mehr wie zuhause. Die Reise verändert sich und wir werden den neuen Herausforderungen begegnen- nächste Woche bei unserem ersten Projektbesuch der Partner*innen der ASW. Vier Tage wollen wir bei einem Projekt in Saint-Louis verbringen, davon nächste Woche mehr! 🙂


Schreibe einen Kommentar